Ampel einigt sich auf Klimaschutzgesetz

Umweltschutzverbände reagieren enttäuscht – Fahrverbote sind vom Tisch

Ausgabe vom 16.04.2024
Seite 4
Von Steven Geyer


Die Bundesregierung hat sich auf konkrete Klimaschutzziele geeinigt: Verantwortlich sind dafür alle Ministerien gemeinsam. Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin. Eine neue Welle der Rücktrittsforderungen an Volker Wissing (FDP) rauschte gerade durch Berlin – da verkündeten die Ampelfraktionen überraschend eine Einigung, die den Bundesverkehrsminister rettet: SPD, Grüne und FDP wollen die längst vereinbarte Reform des Klimaschutzgesetzes nun schnell verabschieden, erklärten sie am Montagnachmittag. Damit wird die bisherige Regelung abgeschafft, dass es verbindliche Klimaschutzziele für einzelne Sektoren wie den Energie-, den Verkehrs- oder den Gebäudebereich gibt und dass die zuständigen Bundesminister gesetzlich verpflichtet sind, bei deren Verfehlen Sofortmaßnahmen einzuleiten.

Verkehrsminister Wissing war noch am Morgen vom unabhängigen Expertenrat für Klimafragen bescheinigt worden, dass in seinem Bereich bereits zum dritten Mal in Folge weder ausreichend Treibhausgase eingespart wurden noch seine angekündigten Maßnahmen zur Verminderung ausreichen: Während es in Deutschland 2023 insgesamt den stärksten Rückgang von klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen seit 1990 gegeben hatte – vor allem durch Einsparungen in der Energiewirtschaft, der Industrie und im Gebäudesektor – verfehlte der Verkehr erneut seine Vorgaben, womit Wissing rechtlich zu einem Sofortprogramm verpflichtet sei.

Das hatte Wissing zuletzt beständig verweigert – unter Verweis auf das neue Klimaschutzgesetz, das das Kabinett bereits voriges Jahr beschlossen hatte. Doch im Bundestag hatten die Grünen die Aufweichung beharrlich blockiert, sodass Wissings Tatenlosigkeit formal ein Rechtsbruch blieb – und für Klimaaktivisten, Umweltverbände und Oppositionsparteien wie Die Linke immer wieder Anlass, seinen Rauswurf oder Abgang zu verlangen.

Doch nachdem der Verkehrsminister Ende voriger Woche den Ton verschärft und erklärt hatte, seine Sektorziele seien nur durch radikale Maßnahmen wie Autofahrverbote etwa an Wochenenden zu erreichen, gaben die Grünen ihren Widerstand nun auf. Im Paket mit neuen Staatshilfen zum Ausbau der deutschen Solarenergie stimmte die Ökopartei der Aufweichung zu. Künftig werden nur dann Sofortmaßnahmen zur Pflicht, wenn die gesamte Bundesregierung ihre Klimazwischenziele verfehlt hat, mit denen bis 2030 mindestens 65 Prozent weniger CO2 ausgestoßen wird als 1990.

„Fahrverbote sind mit der Einigung endgültig vom Tisch“, erklärte Wissing nun eilig. Und FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sekundierte, die Ampel habe sich bereits vor einem Jahr auf eine Reform geeinigt, die das Klimaschutzgesetz „weg von der CDU-Planwirtschaft hin zur sektorübergreifenden Gesamtrechnung“ umbaut. „Im Angesicht von Fahrverboten für Menschen und Betriebe haben sich die Grünen besonnen und ihre Blockade aufgegeben“, sagte Meyer dem RND. „Jetzt können wir endlich den Klimaschutz reformieren und marktwirtschaftlich ausrichten.“

Zu ihrer Verteidigung verwiesen die Grünen darauf, dass die Reform immerhin „erstmals konkrete Klimaschutzmaßnahmen auch für die Zeit 2030 bis 2040 aufstellt“, wie Fraktionsvize Julia Verlinden betonte: „Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren.“

Klimaaktivisten und Umweltverbände reagierten dennoch enttäuscht: Der Bund für Umwelt und Naturschutz sprach von einem „Schlag gegen die Klimaschutzarchitektur in Deutschland“: „Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit.“ Die Klimagruppe Fridays for Future kritisierte, die Ampel plane, „sich der Arbeitsverweigerung von Volker Wissing unterzuordnen und das Klimaschutzgesetz umfassend zu entkernen“, wie Aktivistin Luisa Neubauer dem RND sagte. „Mit dieser Veränderung gibt es in dieser kompletten Legislaturperiode keinerlei Verpflichtungen mehr, in Sachen Klima zu handeln.“

Die Reform sei eine „realitätsferne Absage an verbindlichen und schnellen Klimaschutz“, sagte Neubauer – und erneuerte auch deshalb ihre Rücktrittsforderung an Wissing: „Wem der Schutz der Bevölkerung vor der Klimakrise so egal ist, wer jahrelang meint, deutsches Recht brechen zu können, ohne für die Konsequenzen geradezustehen –, der sollte als Verkehrsminister zurücktreten.“