Zu schwach für den Aufstieg

Die Analyse zur wechselhaften Saison von Hannover 96 – Darum schafft es Trainer Leitl nicht, Platz drei anzugreifen

Ausgabe vom 16.04.2024
Seite 10
Von Dirk Tietenberg


Unentschiedene Gesichter: Hannover 96 schafft es einfach nicht auf die Aufstiegsplätze.Foto: IMAGO/Michael Taeger

Hannover. Jedes Spiel hat seine Geschichte. Die Story des Nullnummer-Derbys bei Eintracht Braunschweig ist schnell erzählt. Fußball-Zweitligist Hannover 96 vergab Torchancen und schlug die eigenen Stärken mit extrem vielen hohen Bällen in den niedersächsischen Wind. 96 machte sich das Leben mal wieder selbst schwer. Dabei sind Trainer und Mannschaft eigentlich zu gut für die 2. Liga und dennoch zu schlecht für Platz drei oder mehr. Wie kommt das? Eine Analyse.

■ Zu gut: Die Hintermannschaft. Im ehemaligen Nationalspieler Marcel Halstenberg (32) hat 96 einen der besten, wenn nicht den besten Verteidiger der Liga. Phil Neumann und U21-Nationalspieler Bright Arrey-Mbi bringen beide 35 km/h auf den Platz. Dazu steht Weltmeister Ron-Robert Zieler im Tor. Nur drei Teams haben weniger Treffer kassiert als 96 (36 Gegentore). Wenn man dann noch Halstenbergs Qualität im Spielaufbau dazuzählt, ist das noch einmal eine Extraqualität. Bei den Verteidigertoren steht 96 sogar auf Platz eins mit zwölf Treffern.

■ Zu gut: Der Angriff. 96 hat die drittmeisten Stürmertore erzielt. An­dreas Voglsammer, Cedric Teuchert, Nicolo Tresoldi und Havard Nielsen sind aber nicht nur aufgrund ihrer Treffer top in der Liga. Keine andere Mannschaft konnte anhand des Kaders so stark von der Bank nachlegen wie 96.

■ Zu schlecht: Das zentrale Mittelfeld. Wenn wir gerade bei Treffern sind: Hier schneidet 96 bei der Torgefahr aus dem Mittelfeld brutal schwach ab. Nur Rostock (4) und Hertha (5) erzielen weniger Tore aus dem Mittelfeldzentrum. Hinzu kommt, dass die erste Saison von Max Christiansen als einer der Königstransfers im zentralen defensiven Mittelfeld – auch wegen seiner Verletzungen – über die Saison hinweg enttäuschend verlief. Spitzenreiter Kiel schießt 28 Tore aus dem Mittelfeld, bei St. Pauli entscheidet der vielleicht kompletteste Offensivmann Marcel Hartel (16 Treffer) die Spiele. Düsseldorf stellt mit dem Japaner Ao Tanaka einen herausragenden zentralen Mann.

■ Zu schlecht: Die Leihspieler. Das System „Maxi Beier“ funktioniert in dieser Saison nicht. Beier spielte zwei Jahre bei 96, ist jetzt Nationalspieler. Hannover besitzt tolle fußballerische Qualität in der zweiten Reihe mit Muhammed Damar oder Antonio Foti oder Christopher Scott – nutzte diese Kräfte aber nicht. Antwerpen-Leihspieler Scott galt als große Hoffnung für ein torgefährliches zentrales Mittelfeld. Aber er war zu oft verletzt. Damar bekam zu wenig Spielzeiten, um Trainer Leitl davon zu überzeugen, dass seine Offensivstärken die Defensivschwächen ausgleichen könnten.

■ Zu gut: Der Kader. Bis zum Verkauf von Derrick Köhn gehörte der Kader von 96 auf jeder Position – bis aufs zentrale Mittelfeld – zur Masterclass der Liga. Fortuna Düsseldorf macht aus einem wesentlich dünneren Kader mehr. Der Kader ist alterstechnisch sehr gut austariert. Nicolo Tresoldi (19) ist Stammspieler, Enzo Leopold (23) ebenfalls, Kolja Oudenne (22) kommt als Entdeckung aus der Regionalliga dazu, neuerdings ist Lars Gindorf (22) eine Option. Das steigert den Wert des Kaders. Tresoldi ist jetzt schon so wertvoll wie ein Bundesliga-Stürmer. Und da wollen er und 96 ja auch hin.

■ Zu schlecht: Die Spielidentität. Stefan Leitl steht durchaus für offensiven Fußball mit Mut zum Risiko in einer Mittelfeldraute. Leitl trainiert mit Spielfreude, Intensität und Wettbewerben. Aber anhand der Ligaspiele lässt sich nicht identifizieren, wofür der Fußball bei Hannover 96 steht. Hat 96 eine Umschaltmannschaft? Oder ist der Ballbesitz ihr Ding? Es scheint so, als finde die Mannschaft aufgrund der intensiven Spielweise der meisten Zweitligateams ihre Stärken nicht. In Testspielen, die nicht derart kampfbetont sind, gewinnt 96 sogar gegen Kiel oder Erstligist Bremen. Es fehlt offenbar der Mut, die Stärken auch in Pflichtspielen einzusetzen.

■ Zu schlecht: Die Ergebnisse. Mit zwölf Unentschieden kann keiner aufsteigen. Spitzenreiter Kiel spielte nur viermal remis. Es wäre ein klares Rechenbeispiel. 96 ist zwar seit sechs Spielen ohne Niederlage, die Serie hat aber einen Haken. Lieber mal eine Niederlage und zwei Siege als drei Unentschieden, das gäbe drei Punkte mehr.