Bevern. Tourismusbroschüren werben gerne mit „unberührten Landschaften“ oder gar mit „letzten Paradiesen“. Daraus spricht unfreiwillig ein schlechtes Gewissen, denn unberührt heißt ja, von uns Menschen in Ruhe gelassen, und letzte Paradiese sind das, was wir an Natur noch übrig gelassen haben. Der ehemalige Beveraner Udo Kreikenbohm geht den umgekehrten Weg, er zeigt Landschaften als Lebensraum des Homo Technikus. Dabei geht er ganz nüchtern-dokumentarisch vor.
Udo Kreikenbohm, 1955 in Bevern geboren, hat das Weserbergland 1980 verlassen und arbeitete jahrelang als Berichterstatter für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Die Fotografie war für ihn aber immer mehr als ein Brotberuf, sie war und ist sein Ausdrucksmittel. Nun ist er mit der Ausstellung „Berührte Landschaften“ zurück in seiner ehemaligen Heimat, und findet im Atelier Repfennig nicht nur die idealen Räumlichkeiten für seine Fotografien, sondern in einigen Bildern Karl Repfennigs auch noch kongeniale Begleiter.
Die berührten Landschaften, die uns Kreikenbohm zeigt, kennen wir alle, wir durchschreiten sie täglich, sie sind uns so vertraut geworden, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Elisabeth Kilian sprach in ihrer Einführung deshalb von „unsichtbaren Landschaften“, also solche, vor denen wir gerne mal die Augen verschließen: Straßen, Brücken, schnurgerade Kanäle, qualmende Fabriken, drum herum die spärlichen Reste von Natur.
Äcker und Gemüsefelder in unmittelbarer Nachbarschaft von Industrieanlagen, ein Kleingarten als Zuflucht vor allzu viel Beton – Landschaften als Menschenwerk. Den Anstoß zu dieser Bilderserie gab eine Szenerie im Ruhrgebiet, der neuen Heimat des Fotografen: eine Straße schwingt sich kurvig über Bahngleise, Oberspannungsleitungen einer Straßenbahn krönen das Bild, als Farbtupfer nur zwei Straßenschilder und Fabrikhallen im Hintergrund, ein paar Bäume und Büsche trotzen hartnäckig Beton und Stahl. „Hier ist nichts mehr, wie es einmal war“, sagt Kreikenbohm, „ich fand das so faszinierend, so irre, hab mich dann nach ähnlichen Motiven umgesehen und am Ende ist eine ganze Ausstellung daraus geworden.“ In Anlehnung an die unberührten Landschaften, mit denen die Tourismusbranche wirbt, wählte Kreikenbohm die Postkartenperspektive. Das heißt, erläutert Elisabeth Kilian, „es sind nicht einfach geschossene Bilder, es sind akribisch geplante Aufnahmen. Weder fließender Verkehr, noch der Gestalter dieser Landschaften, der Mensch, tauchen hier auf. Diese reglosen Bilder wirken wie Stillleben“, zieht Kilian eine direkte Linie zur Malerei, und sieht Kreikenbohms berührende Bilder in der Nachfolge von Landschaftsmalerei verschiedener Epochen.
Wie nahe sich Malerei und Fotografie kommen können, zeigen einige Fotos in unmittelbarer Nachbarschaft zu Repfennigs Bildern, die in Per-spektive und Farbgebung miteinander korrespondieren: erdige Äcker, mal aufgebrochen, mal schnurgerade Spargelbeete, dahinter Fabriken, eine schüttere Baumreihe oder nur ein schmaler Streifen Himmel.
„Wo Menschen leben, passen sie ihre Umgebung an ihre Bedürfnisse an. Dabei entstehen menschengemachte Lebensräume, die ein spezifisches Bild der Gesellschaft oder der jeweiligen Kultur abgeben“, erläutert Elisabeth Kilian nüchtern.
Sie will diese Ausstellung nicht als Mahnung sehen, und auch Kreikenbohm sieht seine Fotografien nicht als Anklage, er hält nur den Ist-Zustand fest. Die Wirkung im Publikum war erstaunlich, die Gespräche drehten sich um Verhältnismäßigkeit, Verantwortung und der Suche nach besseren Lösungen, niemand verließ unberührt die Veranstaltung. Die Ausstellung hat also schon mit der Vernissage ihr Ziel erreicht. Mit dazu beigetragen hat auch der musikalische Rahmen: Der Musiker Erich Tietzel hatte zwei Stücke mitgebracht, die sich gut in die Ausstellung einfügten. „Do you know, what it means, to miss New Orleans?, sehr frei übersetzt: Was ist eigentlich los, wenn gar nichts mehr da ist?“ fragte der Musiker mit leicht sarkastischem Unterton und wies auf die Folgen der menschlichen Eingriffe hin: „Klimaexperten prognostizieren uns ja einiges, da hoffe ich auf die versöhnende Kraft der Musik.“Das zweite Stück stammte von Herbie Hancock und erinnert Tietzel an den Gang durch eine Ausstellung. „Am versöhnlichen Ende des Stückes stehe ich dann glücklich, sprachlos, vielleicht auch erschüttert, wie vor einem Werk dieser Ausstellung“, führte Tietzel die Zuhörer in das wunderbare Stück ein – und er versprach nicht zuviel, die Wirkung von Bild und Musik griff tatsächlich ineinander und bescherte den Besuchern eine unvergessliche Vernissage mehr im Atelier Repfennig. Zu sehen ist die Ausstellung im Schlossatelier Repfennig in Bevern bis zum 28. Juli, jeweils mittwochs, samstags und sonntags von 15 bis 17 Uhr, oder nach Vereinbarung unter der Telefonnummer 0176/73889256 (E. Kilian) oder dgierth@t-online.de